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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Schadensersatz nach unberechtigtem Baustopp
Mieter legte per einstweiliger Verfügung Sanierungsarbeiten auf Eis
30.12.2016 (GE 23/2016, S. 1478) Eine ziemlich alltägliche Konstellation: Der Vermieter will das Mietobjekt und auch einzelne Wohnungen instand setzen/modernisieren. Ein oder mehrere Mieter wollen das aus verschiedensten Gründen nicht zulassen und beantragen eine einstweilige Verfügung auf Untersagung weiterer Arbeiten, die auch erlassen wird. Der Vermieter muss die Arbeiten einstellen. Die Kosten laufen jedoch weiter, die der Vermieter bezahlen muss bzw. meint, bezahlen zu müssen. Es stellt sich später heraus, dass die einstweilige Verfügung unberechtigt ergangen ist, weil Mieteransprüche auf Baustopp nicht gerechtfertigt waren. Jetzt geht es um Schadensersatzansprüche des Vermieters gegen den Mieter.
Der Fall: Der Eigentümer/Vermieter einer Reihe von Wohngebäuden kündigte den Mietern umfangreiche Sanierungs- und Energieeinsparungsmaßnahmen in den Häusern an. Ein Mieter stellte einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, um den Instandsetzungsbedarf an den Häusern feststellen zu lassen. Zugleich beantragte er per einstweiliger Verfügung einen Baustopp. Das AG entsprach dem Antrag. Der Vermieter legte etwa zwei Monate nach Erlass der einstweiligen Verfügung Widerspruch ein. Dann ruhte das Verfahren einvernehmlich bis zur Wiederaufnahme durch den Vermieter etliche Monate später. Das AG bestätigte die einstweilige Verfügung nur teilweise. Im folgenden Berufungsverfahren nahm der Mieter den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurück. Nun nahm der Vermieter den Mieter auf Schadensersatz für die durch Verzögerung des Baubeginns entstandenen Schäden (Vertragsstrafenzahlung, Mietausfall für leerstehende Dachwohnungen, Finanzierungsschäden) in Anspruch. Das AG wies die Klage ab, die Berufung blieb erfolglos. Das LG Berlin (ZK 18) hatte gemeint, die Klägerin habe keinen Schadensersatzanspruch, weil
1. sie die Verzögerung des Baubeginns nicht zu vertreten gehabt und der Baufirma deshalb keine Vertragsstrafe geschuldet habe, 
2. die Finanzierungsschäden aus erst nach Zustellung der einstweiligen Verfügung abgeschlossenen Darlehensverträgen herrührten,
3. hinsichtlich des Mietausfalls nicht dargelegt sei, wann bei rechtzeitigem Baubeginn die Dachwohnungen bezugsfertig geworden und vermietet worden wären.
Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache in die Instanz zurück.

Das Urteil: Ein ersatzfähiger Schaden nach § 945 ZPO könne schon dann gegeben sein, wenn die selbstschädigende Handlung (hier: Zahlung der Vertragsstrafe an das Bauunternehmen) des Gläubigers (Vermieters) durch den Schädiger (Mieter) herausgefordert sei. 
§ 945 ZPO (siehe unten) begründe eine Risikohaftung des Gläubigers, die weder Rechtswidrigkeit noch Schuld voraussetze. Wer aus einem noch nicht endgültigen Titel die Vollstreckung betreibe, solle das Risiko tragen, dass sich sein Vorgehen nachträglich als unberechtigt erweise. Ersatzfähig sei allerdings nur der aus der Vollziehung der einstweilen Verfügung verursachte Schaden. Für dessen Bemessung würden die allgemeinen Grundsätze, insbesondere §§ 249 ff. und § 287 ZPO gelten. Der Schadensersatzanspruch umfasse grundsätzlich den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung einschließlich des infolge des Vollzugs von Verbotsverfügungen entgangenen Gewinns des Schuldners.
Der Zurechnungszusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und dem Schaden bei eigenen selbstschädigenden Handlungen des Geschädigten bliebe bestehen, wenn die Handlung durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert worden sei oder für sie ein rechtfertigender Anlass im Sinne einer nicht als ungewöhnlich oder gänzlich unangemessen zu bewertenden Entschließung bestanden habe. Der nötige Zusammenhang fehle, wenn der Geschädigte selbst in völlig ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreife und eine weitere Ursache setze, die den Schaden endgültig herbeiführe.
Das LG Berlin habe fehlerhaft ausschließlich an einen bestehenden Schadensersatzanspruch der Baufirma gegen den Vermieter angeknüpft und eine Herausforderung des Vermieters zur Zahlung an die Baufirma durch die vom Mieter erwirkte einstweilige Verfügung nicht in Erwägung gezogen. Beachte man die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zu einer vom Schädiger herausgeforderten Selbstschädigung, hätte die Ersatzfähigkeit der an die Baufirma gezahlten Vertragsstrafe nicht von vornherein verneint werden dürfen. In der Zahlung liege der Vermögensschaden des Vermieters, der ausreichend vorgetragen habe, der Baustopp habe zu einer Verzögerung geführt, aus der die Baufirma aufgrund des Bauvertrags einen Zahlungsanspruch ableiten könne. Dass sich ein Bauherr infolge Untersagung des Baubeginns Schadensersatzforderungen einer Baufirma ausgesetzt sehe, sei nicht unwahrscheinlich. Das LG habe prüfen müssen, ob der Vermieter nach den bei Zahlung erkennbaren Umständen von einer Berechtigung der Baufirma ausgehen und die Zahlung an diese als vernünftig und zweckmäßig ansehen durfte.
Die Auffassung des LG, ein aus den Darlehensverträgen resultierender etwaiger Schaden in Form von Bereitstellungszinsen sei nicht auf die Vollziehung der einstweiligen Verfügung zurückzuführen, weil die Darlehensverträge erst nach deren Zustellung abgeschlossen worden seien, greife ebenfalls zu kurz. Das LG hätte sich mit den von dem Vermieter angegebenen Gründen für den möglicherweise erst nach Vollziehung der einstweiligen Verfügung erfolgten Abschluss der Verträge sachlich befassen müssen. Als Vollziehungsschaden seien die geltend gemachten Zinsen ersatzfähig, wenn zwischen ihrer Entstehung beim Vermieter und der durch die einstweilige Verfügung verursachten Verschiebung der Baumaßnahme ein Zurechnungszusammenhang bestehe. Zu fragen sei, ob die Entscheidung des Vermieters, trotz des gerichtlich angeordneten Baustopps bis zu einer Begutachtung im selbständigen Beweisverfahren die in den Darlehensverträgen vorgesehenen Verpflichtungen einzugehen, durch das Erwirken des Baustopps herausgefordert oder als ungewöhnlich oder gänzlich unangemessen zu bewerten sei, und ob der Vermieter hiermit ein unverhältnismäßiges Risiko auf sich genommen habe.
Auch die Ablehnung eines Mietausfallschadens für die Dachgeschosswohnungen wegen nicht hinreichend konkreter und in sich plausibler Schadensdarstellung könne keinen Bestand haben. Das LG habe die angebotenen Beweise nicht als ungeeignet zurückweisen dürfen. Der Vermieter mache einen Mietausfallschaden geltend, der eine Form des entgangenen Gewinns im Sinne von § 252 BGB sei, und auf den die dortigen Grundsätze Anwendung fänden. Er müsse die Umstände darlegen und in den Grenzen des § 287 ZPO beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergebe. Liege eine solche Wahrscheinlichkeit vor, werde widerleglich vermutet, dass der Gewinn gemacht worden wäre. Dem Ersatzpflichtigen obliege dann der Beweis, dass er nach dem späteren Verlauf oder aus anderen Gründen dennoch nicht erzielt worden wäre. Dabei dürften keine zu strengen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden. 
Das LG wird sich, so der BGH, zunächst mit der Frage befassen müssen, ob dem Vermieter durch den Baustopp ein Schaden erwachsen sei, weil auch die selbstschädigende Handlung des Gläubigers, wenn sie durch den Schädiger herausgefordert ist, zu einem ersatzfähigen Schaden führen kann. Außerdem müsse Beweis erhoben werden, ob der Vermieter infolge des Erlasses der einstweiligen Verfügung einen ersatzfähigen Mietausfallschaden erlitten habe.
Stelle das LG einen ersatzfähigen Schaden fest, sei die Frage eines Mitverschuldens des Vermieters zu prüfen und auch, ob der Vermieter Anlass für die einstweilige Verfügung gegeben habe, warum er erst zwei Monate nach Zustellung der Verfügung Widerspruch eingelegt und später einem Ruhen des Verfahrens zugestimmt und erst weitere Monate später die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt habe.

Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2016, Seite 1501 und in unserer Datenbank

§ 945 – Schadensersatzpflicht
Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.


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