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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Gerechtfertigter Stromdiebstahl durch Mieter?
Keine Kündigung bei „Selbsthilfe“
11.11.2016 Die unbefugte Stromentnahme rechtfertigt nach der Rechtsprechung eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung dann, wenn dem Vermieter hierdurch ein erheblicher Schaden entstanden ist. Wenn die Entnahme jedoch drauf beruht, dass die Stromversorgung in der Wohnung ausgefallen und keine kurzfristige Wiederherstellung durch den Vermieter zu erlangen ist, soll der Mieter nach Auffassung des Landgerichts Berlin unter Umständen zur „Selbsthilfe“ berechtigt sein.
Der Fall: Im Juni 2014 fiel in der Wohnung des Beklagten (Mieter) der Strom aus; die Klägerin (Vermieterin) beauftragte daraufhin einen Elektriker, der die Stromversorgung wiederherstellte. Nachdem kurze Zeit darauf wieder ein Stromausfall auftrat, wandte sich der Beklagte an den zu dieser Zeit tätigen Vertreter des Hauswarts. Dieser unternahm nichts, wies jedoch auf die durch die Beauftragung des Elektrikers entstandenen Kosten hin und forderte den Beklagten auf, sich um deren Ausgleich zu kümmern. Der Beklagte schloss daraufhin ein Verlängerungskabel an eine im Treppenhaus befindliche Steckdose an und versorgte hiermit die Wohnung mit Strom. Nachdem Gesellschafter der Klägerin das Verlängerungskabel am 13. August 2014 bemerkt und den Stecker aus der Steckdose entfernt hatten, kündigte die Klägerin das Mietverhältnis am 20. August 2014 wegen Stromdiebstahls und Störung des Hausfriedens.

Das Urteil: Das Amtsgericht Charlottenburg wies die Klage ab, die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Beklagte habe davon ausgehen müssen, dass er die Elektrikerrechnung ausgleichen müsse, bevor er wieder über Strom verfügen könne. Er habe die Erklärung des Hauswartsvertreters so verstehen müssen, als ob diese „der Beschlusslage der Hausverwaltung“ entspreche. Deshalb sei aus seiner Sicht eine Reklamation bei der Hausverwaltung aussichtslos gewesen; die „Erzeugung des Rechtsscheins“, dass das Verhalten des Hauswartsvertreters von der Hausverwaltung gedeckt sei, sei daher der Klägerin zuzurechnen. Unter diesen Umständen sei die entsprechend §  229 BGB erfolgte Entnahme von Strom als nicht so schwerwiegend schuldhaft anzusehen, dass das Mietverhältnis beendet werden müsste.

Anmerkung: Wenn schon der Hauswart grundsätzlich nicht berechtigt ist, für den Vermieter verbindliche Erklärungen abzugeben, dann ist es sicherlich nicht dessen Vertreter. Welchen Rechtsschein (Duldungs-Anscheinsvollmacht? Vgl. hierzu nur MünchKommBGB/Schubert, 7. Aufl., § 167 Rn. 102 ff.) sich die Klägerin zurechnen lassen muss, erschließt sich in keiner Weise; auch eine entsprechende Anwendung von § 229 BGB begegnet Bedenken, da die Bestimmung eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol normiert (MünchKommBGB/Grothe, aaO., §  229 Rn. 7). Im Ergebnis dürfte die Entscheidung allerdings zutreffend sein, weil durch die Entnahme des Stroms weder der Klägerin noch der Hausgemeinschaft ein beträchtlicher Schaden entstanden sein dürfte und deshalb vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung hätte erfolgen müssen (KG, Beschluss v. 18. November 2004 - 8 U 125/04, NZM 2005, 254).

Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2016, Seite 1279 und in unserer Datenbank
Autor: Hans-Jürgen Bieber


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