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Und jetzt, Genossen, singen wir noch ein Lied
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07.02.2018 (GE 03/2018, S. 146) Nun wird also weitergemerkelt wie bisher. Die SPD, die sich, wie fast alle Redner auf dem Bonner Parteitag haben durchschimmern lassen, auch auf hinteren Plätzen immer noch für des Politgotts auserwählte Partei hält, hat sich recht schnell aus selbstgewählter babylonischer Gefangenschaft befreit und ins gelobte Merkelland aufgemacht, wo Milch und Honig in Form von Posten und Pensionen fließen.
Anders als viele Kollegen, die von "knapper" oder gar "hauchdünner Mehrheit für Koalitionsverhandlungen mit der Union" geschrieben haben, empfinde ich eine Mehrheit von über 56 % für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen angesichts der Kopf-an-Kopf-Diskussionen eher als "klare" oder "deutliche" Mehrheit. Deutlich gemacht hat der SPD-Parteitag aber auch, dass die Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel ausgenommen, keinen Spitzenpolitiker mit Charisma haben. Martin Schulz hat die Ausstrahlung von Pappmaché, Andrea Nahles hat zwar mit einer Art Schreikrampf-Rede (in der Tagespresse unisono als "kämpferische Rede" bewertet) den einen oder anderen Delegierten noch beeinflusst, aber selbst in einem mit Dschungelcamp und Deutschland sucht den Superstar zugedröhnten Land gewinnt man mit "Ätschibätschi" und "was in die Fresse" keine Mehrheit. Doch der SPD fehlt es nicht nur an glaubwürdigem Personal, sondern auch an einer guten, mitreißenden Erzählung. Ein schon warmes Nest noch weiter auszupolstern, hier noch ein Federchen, da noch ein Federchen, ist keine Story für das 21. Jahrhundert. Noch mehr, noch bessere Betreuung, noch mehr, noch umfassendere Entmündigung? Die Partei lebt immer noch mehr im 19. Jahrhundert (und stimmt auch noch wie damals mit der Stimmkarten-Steinzeitmethode ab) als im globalisierten und digitalisierten Heute, gerade so, als ob die Zeit zwischen August Bebel und Martin Schulz stillgestanden hätte. Am Ende war es fast schon wie im Kabarett, als der diensthabende Justizminister und Parteitagspräside, Heiko Maas, drohte: "Und jetzt, Genossen, singen wir noch ein Lied." Und dann sangen sie - auch wenn mancher dabei nur seine Lippen bewegte wie unsere Fußballspieler bei der Nationalhymne - was sie seit 100 Jahren singen: "Wann wir schreiten Seit' an Seit' … mit uns geht die neue Zeit …" Geht sie eben nicht. Und deshalb geht sie mit der Zeit oder muss sich ein neues Volk suchen.
Autor: Dieter Blümmel


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