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Widerrufsbelehrung bei der Mieterhöhung: Beifügen oder nicht beifügen – das ist hier die Frage
Ein Fehler kann die Mieterhöhungsbeträge für über ein Jahr kosten
30.06.2017 (GE 11/2017, S. 615) Bei den jetzt anstehenden Mieterhöhungen mit dem Berliner Mietspiegel taucht bei unseren Lesern immer wieder die Frage auf: „Muss die Mieterhöhungserklärung wirklich eine Widerrufsbelehrung enthalten? Das verwirrt die Mieter doch nur!“ Unsere Antwort: „Zweimal ja!“ Wer es unterlässt, riskiert, dass er die Mieterhöhungsbeträge für mehr als ein Jahr nachträglich wieder verliert und dem Mieter erstatten muss. Warum das so ist bzw. sein kann, versuchen wir nachstehend in einfachen Worten zu erklären.
Angefangen hat es mit der Europäischen Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU vom 25. Oktober 2011 [VerbrRRL]). Sie sollte Verbraucher insbesondere beim Abschluss von Haustürverträgen oder bei Bestellungen im Internet schützen. Die EU-Richtlinie musste bis Ende 2013 in nationales Recht umgesetzt und ab dem 13. Juni 2014 angewendet werden. Deutschland hat das mit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20. September 2013 (BGBl. I, 3642) getan.
Wie (fast) immer ist der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung über das Ziel hinausgeschossen. 
In Nr. 26 der Richtliniengründe heißt es:
„Verträge über […] die Vermietung von Wohnraum sind bereits Gegenstand einer Reihe spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften. […] Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen eignen sich nicht für diese Verträge, welche daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden sollten. […] Verträge über Dienstleistungen von Immobilienmaklern und über die Vermietung von Räumen für andere als Wohnzwecke sollten unter diese Richtlinie fallen.“ Für die Vermietung von Sozialwohnungen gilt die Richtlinie ausdrücklich
nicht (Art. 3 Abs 3a).
Das hat den deutschen Gesetzgeber jedoch – gegen ausdrückliche Empfehlung der EU-Richtlinie – nicht davon abgehalten, Wohnraummietverhältnisse in den Schutzbereich einzubeziehen. Die einschlägigen Regelungen dazu finden sich in §§ 312 BGB ff. Mietvertragsabschluss wie auch spätere Änderungen – beispielsweise die allgemeine Mieterhöhung nach § 558 BGB auf die ortsübliche Miete – stellen damit Verbraucherverträge dar, die Verbrauchern bestimmte Rechte zugestehen. Eines davon ist das Recht, einen Vertrag zu widerrufen. In § 312g BGB heißt es: 
„(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.“
Das Widerrufsrecht gilt also bei Verträgen zwischen Verbrauchern und Unternehmern bei
■ sog. Außergeschäftsraumverträgen (Vertrag wird außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger Anwesenheit aller Vertragsparteien geschlossen) und bei
■ Fernabsatzverträgen (durch Briefe, Telefonanrufe, Telekopien, eMails, SMS geschlossene Verträge, sofern der Unternehmer dafür ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem benutzt).
Bei Wohnraummietverträgen ist der Mieter immer der Verbraucher. Ob der Vermieter seinerseits immer der Unternehmer ist, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert. Der sicherste Weg ist, den Vermieter als Unternehmer zu begreifen.

Ausübung des Widerrufsrechts
§§ 355, 356 BGB bestimmen u. a., dass der Verbraucher, dem ein gesetzliches Widerrufsrecht zusteht, den Vertrag binnen 14 Tagen widerrufen kann, sofern er über sein Widerrufsrecht informiert wurde. Fehlt die Widerrufsbelehrung, kann der Verbraucher den Vertrag auch noch zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss widerrufen.

Anwendungsfall Mietvertragsabschluss
Voraussetzung ist zunächst, dass ein Vertrag geschlossen wurde. Der Abschluss von Mietverträgen fällt also grundsätzlich in den Bereich des Verbraucherschutzes nach § 312 ff. BGB. Allerdings gibt es – was das Widerrufsrecht betrifft – eine bedeutsame praktische Ausnahme: Wenn der Mieter die Wohnung vorher besichtigt hat, was der Regelfall ist, gibt es kein Widerrufsrecht (§ 312 Abs. 4 BGB).

Anwendungsfall Mieterhöhung
Eine Mieterhöhung nach § 558 BGB stellt – formal gesehen – eine Vertragsänderung/einen Vertragsschluss dar. Allerdings handelt es sich nicht um einen echten Vertragsschluss, bei dem alle Partner, sowohl was das Angebot betrifft als auch die Vertragsannahme, völlig frei sind. Sie können einen Vertrag schließen, müssen aber nicht.
Bei der Mieterhöhung muss der Vermieter sein Angebot (höhere Miete) formal begründen (völlig ungewöhnlich), und der Mieter muss das Angebot annehmen, wenn bestimmte Vorbedingungen (Wartefrist, Kappungsgrenze, nicht mehr als ortsübliche Miete) erfüllt sind – oder er muss kündigen. Die Regelungen in §§ 312 ff. BGB passen schlicht nicht zum Mieterhöhungsverlangen nach den §§ 558 ff. BGB; dabei handelt es sich um genau die Regelungen, welche die Verbraucherrechterichtlinie meint, wenn sie von Wohnraummietverträgen spricht, die bereits Gegenstand einer Reihe spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften sind.
Deshalb hat die 18. ZK des Landgerichts Berlin (= jetzt ZK 64, zuständig für Amtsgericht Charlottenburg) gemeint, §§ 312 ff. BGB seien auf Mieterhöhungen nicht anwendbar (LG Berlin GE 2016, 1391) mit der Folge: kein Widerrufsrecht, also auch keine Widerrufsbelehrung erforderlich.
Der gegenteiligen Auffassung ist die ZK 63 des Landgerichts Berlin (zuständig für die Amtsgerichte Spandau, Schöneberg, Köpenick, Lichtenberg einschl. vormals Hohenschönhausen), sie unterwirft auch Mieterhöhungen den §§ 312 ff. BGB (LG Berlin GE 2017, 594; vgl. auch Schach, GE 2017, 571). Folge: Widerrufsrecht, auch Widerrufsbelehrung erforderlich.
Ein Ausweg wäre, dass man sich (jedenfalls als kleinerer) Vermieter darauf beruft, dass
man nicht mit einem organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystem arbeitet. Aber wo hört das auf? Bei Verwendung von Serienbriefen oder Formularen? Einschaltung einer Hausverwaltung? Alles noch ungeklärt. Deshalb ist es der sicherste Weg, Mieterhöhungen mit Widerrufsbelehrungen zu versehen, auch wenn der Mieter nicht versteht, dass er um Zustimmung gebeten wird, die er widerrufen kann, aber verklagt wird, wenn er das tut. 
Verzichtet man auf die Widerrufsbelehrung (GEV-Formular BGB 355/2015/Widerrufsbelehrung), kann der schlimmste Fall eintreten, und der sieht so aus: Mieterhöhung geht im Juni 2017 zu. Mieter stimmt am 31. August zu oder zahlt ab 1. September regelmäßig die erhöhte Miete. Vermieter sieht keinerlei Anlass, bis zum 30. November, dem Ablauf der Klagefrist, Klage auf Zustimmung zu erheben, weil er die verlieren würde – schließlich hat der Mieter ja (ggf. konkludent durch Zahlung) zugestimmt. Am 13. September 2018 widerruft der Mieter die Zustimmung und fordert für 13 Monate die Mieterhöhungsbeträge zurück, und der Vermieter sitzt wieder auf „Los“. 
Dann lieber doch mit Widerrufsbelehrung.


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