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Milliardengeschenk für Siemens
Namen & Nachrichten
28.11.2018 (GE 21/2018, S. 1302) Nun ist es also amtlich. Der in Berlin geborene Weltkonzern Siemens, der in den letzten Jahrzehnten seine Vaterstadt eher links liegen ließ und vor einem Jahr noch ankündigte, über 800 Stellen in den verbliebenen Berliner Werken abbauen zu wollen, will „in den nächsten Jahren“ 600 Millionen € in einen Siemens-Campus in Siemensstadt stecken, um, wie es Siemens-Vorstandsmitglied Cedrik Neike formulierte, „ein Ökosystem zu kreieren, wo wir Arbeiten, Forschen, Wohnen und Lernen auf einem Areal vereinen, Spitzentechnologie und neue Arbeitswelten verbinden und so einen Kiez entwickeln, der Raum für Entwicklung und Fortschritt schafft“. Und alle, alle Väter und Mütter des (Ansiedlungs-) Erfolges, der bekanntlich viele Eltern hat, freuten sich wie Bolle.
Ramona Pop, Bürgermeisterin und Wirtschaftssenatorin, lobte sich dafür, „in den letzten Monaten erfolgreich die Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben, dass Siemens in den Wirtschaftsstandort Berlin investiert“. Gegen die internationale Konkurrenz habe man sich durchgesetzt, als Stadt „mit der boomenden Digitalwirtschaft, den internationalen Talenten und der modernen Industrie“. Wer diese internationale Konkurrenz war, blieb im Dunkeln. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der sich zugute hielt, den Siemens-Campus zur Chefsache gemacht zu haben, fand zu der tiefen Erkenntnis, dass „die Digitalisierung das gesamte Leben und Arbeiten der Menschen verändert“ und man sich deshalb sehr freue, „dass eines der innovativsten Unternehmen, das seine Wurzeln hier in Berlin hat, eine so große Investition in den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Berlin macht“ – Müller verstieg sich sogar auf die – vom Tagesspiegel so verkürzte – These, dass „in Berlin die Fragen der Zukunft gelöst werden“. Wer keinen Flughafen bauen kann und auf preußischem Boden keine funktionierende Verwaltung zustande bekommt, hat Anlass zu ein wenig mehr Bescheidenheit. Dass ausgerechnet Siemens eines der innovativsten Unternehmen sein soll, wäre zumindest eine neue Erkenntnis. Denn eigentlich war Siemens in der jüngeren Vergangenheit eher eine Bank denn eine Werkbank, und bei der Digitalisierung ein ziemlich abgehängter Riese. Bei aller verständlichen und auch berechtigten Freude darüber, dass die Münchner im ungeliebten Berlin 600 Millionen € investieren wollen, muss aber zu rechnen erlaubt sein. Fangen wir einmal mit einem Vergleich an: Das inzwischen marode ICC hat mal 1.000 Millionen DM gekostet. Nach heutigen Preisen könnte man es für die 600 Millionen Siemens-€ nicht mehr bauen. Rund 3.000 schrieb die Berliner Morgenpost, rund 2.000 Wohnungen der Tagesspiegel mit 200.000 m2 Wohnraum, davon 60.000 mietpreisgebunden, wolle Siemens auf dem Campus bauen. Damit wären nach heutigen Preisen schon 500 von den 600 Millionen € weg. Bis Siemens anfängt zu bauen, sind die Baupreise auch schon ein weiteres Wegstück gegangen. Und von dem schmalen Rest, der bleibt, will der Konzern dann auch noch eine Schule, Kitas, Büros, Läden, Forschungs- und Fertigungseinrichtungen bauen, in denen die Fragen der Zukunft gelöst werden? Wie naiv muss man sein, das zu glauben? Mit Müller und dem Siemens-Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser scheinen sich zwei gefunden zu haben, die wenigstens die Hybris eint: „Hier in Deutschland, gerade in Berlin, gab es Gründungen schon, da gab es in Silicon Valley noch gar keine Garagen,“ sagte Kaeser bei der Vertragsunterzeichnung. Stimmt. Imperfekt. Heute gibt es dafür in Silicon Valley keine Garagen, dafür aber Gründer, während es in Berlin als DDR-Hinterlassenschaft immer noch unzählige Garagen und Garagengemeinschaften gibt, die gar nicht daran denken, sie irgendwelchen Gründern zu hinterlassen. 600 Millionen €, das hört sich bei der Klientel, die R2G im Auge hat, nach ziemlich viel Geld an. Das wird allerdings über zwölf Jahre gestreckt. 50 Millionen € pro Jahr zahlt Siemens aus der Portokasse. Mercedes Benz hat für 500 Millionen € sein Motorenwerk in Marienfelde ausgebaut, der Springer-Verlag investiert 300 Millionen € in seinen Digitalcampus neben dem alten Verlagshaus, Sony hat in sein gleichnamiges Center am Potsdamer Platz 750 Millionen € investiert, Daimler in den Potsdamer Platz fast 2 Milliarden €. Nicht zu vergessen den Bundesnachrichtendienst, der für seinen Umzug von München-Pullach am Ende 1,5 Milliarden € auf den Tisch blätterte. Daneben nimmt sich der Siemens-Deal als das aus, was er ist: ein von der Berliner Politik dringend gebrauchter Werbegag. Erkauft mit Zusagen etwa beim Denkmalschutz, von denen der kleine Bauherr nur träumen kann. Oder beim Bauplanungsrecht. Angeblich sollen die 700.000 m2 hochgestuft werden – von Gewerbebauland auf Baulandflächen mit mischgebietstypischer Nutzung. Macht einen Sprung bei den Bodenrichtwerten von 40 €/m2 auf 2.000 €, was einer Buchwertsteigerung von 2,8 Mio. € auf 1,4 Mrd. € entspricht. Davon, dass Planungsgewinne abgeschöpft werden sollen, ist nicht die Rede. Dagegen scheut man sich nicht, bei kleinen Privateigentümern mit Häusern in Sanierungsgebieten Pseudo-Wertsteigerungen in Form der Sanierungsausgleichsabgabe abzuschöpfen oder bei Bauträgern für die Schaffung von Baurecht über Bebauungspläne hochwertige „Incentives“ in Form von Schulen, Kindergärten, Erschließungsanlagen und Sozialwohnungsbauquoten abzugreifen. Die Wut über solche Politik wächst.
Autor: Dieter Blümmel


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